Frühe oder späte Weinlese
Weinwissen
Frühe und späte Lese
Frühe Lese hat den Sinn, die Säure zu erhalten. Vollreife Lese verspricht höheren Alkoholgehalt, mehr Polyphenole und mehr Extraktstoffe. Dies ist die Summe der nicht-flüchtigen Inhaltsstoffe eines Weins: Zucker, Säure, Minerale, Phenole, Glyzerin, Glykole und Spuren von anderen Substanzen wie Proteine, Pektine und Harze. Rotweine haben meist mehr Extraktstoffe (>30 Gramm pro Liter) als Weissweine (<19 Gramm).
Bei schönem Herbstwetter können „vollreife“ oder gar „überreife“ Trauben geerntet werden. So entstehen feine Spätlesen und edelsüsse Auslesen. Bei letzteren ist der Most so zuckerreich, dass er nicht mehr durchgären kann. Ein gewisser Zuckerrest (Restzucker) bleibt im Wein und gibt ihm eine raffinierte, edle Süsse. Die Gärung kann vom Kellermeister auch bewusst gestoppt werden, um den gleichen Effekt zu erreichen.
Botrytis cinerea (Edelschimmel)
Im November werden die Trauben für die edelsüssen Weine gelesen. Durch den Einfluss des Schimmelpilzes Botrytis cinerea, dessen Sporen durch die dünner gewordene Beerenhaut wachsen und feinste Löcher hinterlassen, verdunstet etwa 80% des Wassers in den Beeren. Diese schrumpeln in der Folge rosinenartig zusammen. Auf diese Weise werden Zucker, Säure und Aromastoffe konzentriert. So entstehen die bekannten teuren französischen Sauternes, die ungarischen Tokajer sowie die deutschen und österreichischen Beeren- und Trockenbeerenauslesen (s. Spezialweine).
Die Lese und der Einfluss von Regen
Die Trauben sollen möglichst unverletzt und schnell auf die Kelter kommen, denn der austretende Traubensaft oxydiert rasch, wenn er Sauerstoff aufgesetzt ist – besonders bei weissen Trauben. Um eine Oxydation oder eine wilde Gärung zu verhindern, sind viele Weingüter in den heissen Anbaugebieten dazu übergegangen, nachts (maschinell mit Erntemaschinen) zu lesen. Diese Vollernter ernten in einer Stunde, wozu sonst 30 Lesehelfer nötig wären. Oft wird das Traubengut anschliessend von Hand nachverlesen.
Ernten bei Regen ist verpönt. Die Pflanze nimmt das Wasser auf und transportiert es in die Beeren, die sich dadurch aufblähen. Dadurch wird der Traubensaft verwässert. Zusätzlich gelangt mit dem Traubengut Wasser in die Maische. Auch hier hilft die moderne Technik, den Most durch künstlichen Wasserentzug zu konzentrieren (Umkehr-Osmose, Vakuumverdampfer, Heissluftschleuse).
Eiswein
Eine süsse Rarität ist der Eiswein, dessen Trauben in gefrorenem Zustand gelesen und abgepresst werden. Hierfür sind im Weinberg Temperaturen von – 8°C oder weniger erforderlich.
Ein hoch konzentrierter Most aus Zucker, Säure und Extraktstoffen tropft aus der Kelter (Weinpresse), während das zu Eis gefrorene Wasser in der Presse zurückbleibt.
Eisweine haben eine erfrischende Säure, wenig Alkohol und lassen sich im Gegensatz zu den Botrytis-Weinen schon jung angenehm trinken. Kanada hat die höchste Eisweinproduktion der Welt (Ice wine). Das grösste Eisweingebiet der Welt liegt in China (ca 4'000 ha).
Die Entdeckung der Spätlese
Die Bezeichnung entstand 1775 im Rheingau. Die Spätlese wurde per Zufall entdeckt: Im Gegensatz zu den übrigen Rheingauer Weingütern, denen die Zeit der Traubenlese von den Gemeinden vorgeschrieben wurde, brauchte der Kellermeister des Johannisberg im Rheingau, einst eine spezielle Erlaubnis vom Fürstbischof von Fulda, dem damaligen Eigentümer des Schlosses. Doch der Kurier verspätete sich.
Die Mönche auf dem Johannisberg warteten Tag um Tag mit dem Beginn der Lese und mussten zusehen, wie die Trauben an den Weinstöcken immer mehr von Fäulnis befallen wurden und schrumpften. Der Kurier, der alljährlich beim Fürstabt in Fulda die Leseerlaubnis einholen mußte, kehrte in diesem Herbst 1775 mit Verspätung nach Johannisberg zurück. Da schien die Ernte bereits vernichtet. Die Lese wurde dennoch durchgeführt. Zum grossen Erstaunen des Kellermeisters entstand ein Wein von aussergewöhnlich guter Qualität und Geschmack.
Auch Ungarn reklamiert die Erfindung der Spätlese für sich. Den ersten Tokajer Aszú stellte der Geistliche Máté Sepsi Lackó um das Jahr 1650 her. Der Tokajer Aszú ist eine Spätlese