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Weinvergiftung Zürich

Weinwissen
Weinvergiftung  in Zürich
 
 
 
              
Unter diesem Namen ging ein für die  damalige Zeit spektakuläres Sakrileg, das sich am 12. September 1776 (Buss- und  Bettag) im Zürcher Grossmünster ereignete, in die Geschichte ein. Seit 1768 war  dieser kirchliche Feiertag einer der vier Anlässe des Kirchenjahres, an denen  die Gläubigen der Stadt das Abendmahl einnahmen.

Angeblich soll an diesem Tag der Abendmahlswein vergiftet gewesen sein. Wie  üblich hatte der Küster (in Zürich Siegrist) am Vorabend den Wein in die Kirche  gebracht und auch die hölzernen 32 Weinbecher (für rund 1200 Gäste) reinigen  lassen. Am nächsten Tag, vor dem Abendmahlsgottesdienst stellte er allerdings  fest, dass Wein verschüttet war und ein Becher offensichtlich benutzt worden  war. Da schon im Jahr vorher Wein verschwunden war, dachte er sich nichts dabei  und brachte alles wieder in Ordnung.   

Kirchgänger  beschwerten sich darauf, der Wein habe einen "blaulichten unreinlichen  Anblick (und einen...) süsslichfaden, eckligen Geschmack" gehabt. Weiter wird berichtet:  "Jedoch erweckte er bey sehr vielen Communicanten Eckel...die meisten versuchten  den  Wein nur mit der äussersten Zunge; andere genossen, doch unbemerkt,  gar nichts; und einige spukten, so leise wie möglich, wieder aus". Trotzdem  verspürten später einige der Teilnehmer Übelkeit und Bauschmerzen, mussten sich erbrechen.  
Wie aus alten Unterlagen hervorgeht,  wurde (Zitat) "sogleich...der in der Nachbarschaft gerade gegenüberwohnende  berühmte Physicus, Herr Canonicus D. Johann Gessner zur Untersuchung gebethen.  Er untersuchte am Abend und Freytags darauf (den Wein..), zufälliger Weise in  Gesellschaft Herrn Doktor Zieglers vom Winterthur, und Herrn Doktor Schinzen.  Alle diese drey eben so behutsame als geschickte Naturforscher fanden einmüthig  ein Gemisch von Miet und Letten (Leim) mit Essig aufgelösstem spanischem  Pfeffer, Stechäpfeln, Schwertlilien, Fliegengift und wahrem Arsenik".  

Zwei Todesfälle wurden registriert,  wobei allerdings der behandelnde Arzt keinen Zusammenhang zwischen dem Wein und  der Todesursache erkennen konnte. So wird in den Berichten festgehalten,  "es ist  erwiesen, dass zwo Personen, die auch beym Münster communicirt hatten und wenige  Tage nachher starben, Vater und Tochter, schlechterdings nicht daher, sondern an  hitzigen Fiebern gestorben, welches freylich in der Ferne zu übertriebenen  Gerüchten von den Folgen dieser Vergiftung Anlass gab".    

In der Stadt kursierten  schnell Gerüchte über Dutzende von angeblichen Todesfällen, so dass die  Regierung eine Zensur verhängte, die natürlich erst recht die Aufmerksamkeit der  Öffentlichkeit erweckte.

Auf "hochobrigkeitlichen Befehl"  befasste sich der "geschickte und berühmte Herr Stadtarzt Hirzel mit dem Wein und  fand, dass dieser Wein mit Eckel erweckenden und betäubenden Pflanzentheilen,  auch mit sublimirtem Quecksilber vermenget gewesen sey " - Von Arsenik fand er  in derjenigen Portion, die ihm zur Untersuchung übrig geblieben war, nichts."  

Beschuldigt und verhaftet wurde  vorerst der  Turmhüter und Totengräber Hartmann Wirz, "besonders, da er im Jahr vorher  Drohworte, die auf so eine That ausgelegt werden konnten, ausgestossen haben  sollte. Zu dem kam noch - was ihn am meisten beschwerte, und der Obrigkeit  allein schon vollkommenes Recht gab einen Verdacht auf ihn zu werfen und ein  unverrücktes Aug auf ihn zu haben - dass er in derselben Nacht, da diese That  verübt worden war, wider seine Pflicht den Thurm verlassen hatte, und nach Hause  gegangen war...". Anschliessende Untersuchungen haben dann den Verdacht  nicht erhärtet.

Verdächtigt wurden  später aber auch eine  Reihe angesehener Bürger, die die profranzösische Politik der Stadtregierung  ablehnten. "Man fand nemlich Sonntag Morgens, den 13.  October, an vier verschiedenen Orten der Stadt eine gleichlautende anonyme  Handschrift angeschlagen, worinn Wirz losgesprochen, hingegen einige von den  würdigsten und angesehensten weltlichen und geistlichen Herren als Urheber der  Greueltat beym Münster angegeben, und noch andere verruchte Gedanken geäussert  wurden."  

In der Folge entwickelte sich um diesen Vorfall eine jahrelange öffentliche  Diskussion, die vor allem vom Zürcher Johann Caspar Lavater (1741-1801; siehe  Bild oben) und dem Berliner  Aufklärer Friedrich Nicolai, Herausgeber der „Allgemeinen deutschen Bibliothek,  geführt wurde. Lavater hielt zwei wortgewaltige Predigten die vielfach gedruckt  und im ganzen deutschsprachigen Raum verbreitet wurden. Darin wetterte er gegen  den „Verbrecher ohne seines gleichen“. Nicolai dagegen plädierte für sachliche  Erklärungen wie eine natürliche Verunreinigung des Weins während der  Fasslagerung.

Wenn Lavater ins Ausland kam, gab es  wahre Volksaufläufe. In Bremen wurde er wie ein Heiliger empfangen und ein  Schiff auf seinen Namen getauft. Nebenher lief aber auch ein Spottvers durch  ganz Deutschland: "Wie schön leuchtet von Zürich her der Wunderthäter Lavater. "   
Wir erinnern  wir an seinen lebenslangen Kampf für den  reinen Christenglauben, der sich zwar gelegentlich in allerlei Spintisiererei  und Sektiererei verirrte. Eine Renaissance erlebt gegenwärtig sein 1775-1778  verfasstes, vier Foliobände starkes Werk "Physiognomische Fragmente", zu dem  Goethe die Kapitel über tierische Schädel und Kiefer beitrug.



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